veto female versatile

Veto Female Versatile 
von Micha Wille 

“Kurze Tour: Zentral liegt eine 10m lange Leinwand mit farblich und graphisch und inhaltlich stark kontrastierenden Sprüchen/Textblöcken (schnelle Sprache: light and witty), verschriftlichte items of sound und einem figurativ gemalten bit: Krabben im angedeuteten Topf: Feminists at work (knapper Background: der Krabbentopf, auch ein Begriff in der Genderforschung, beschreibt die Dynamik unter Krabben, die – einmal im Topf – man nicht zu fesseln braucht, sie ziehen sich gegenseitig hinunter).Die Leinwand – Depressive aller Länder– bringt schon den ersten Protest von Tradition ins Gespräch: ungerahmt, am Boden liegend – Schrift als malerischer Gestus. An der Wand linker Hand findet man Drucke von handycam Fotos, dieselben auch am Insta-Account der Künstlerin – The Hand That Feeds You. Ums Eck (ebenfalls (Insta-) Bilder vom galizischen Meer, loopartig installiert – Das Meer müsste man sein / ins Wasser gehen. Währendbei der Eingangstür ein Exemplar der Siebdruckserie Susanne fotografiert mich beim Bade(ein pervertierender Verweis auf das historische Sujet der Susanne beim Bade) das Gegengewicht zum installierten Jargon des Fragmentarischen konstituiert. Das Insel- und Episodenhafte, das uns kurzfristig daran hindert eine konsistente Erzählung aus dieser Schau zu ziehen, ist langfristig der relevanteste, spannendste, und analytisch smarteste Kniff: Hier wird nicht nur formal auf das desorientierende Motto unserer Gegenwart: NICHTS LANGFRISTIGES – nichts Kohärentes (Diskontinuität als Lebenserzählung, als narrative Form spiegelt in der Tat die Erfahrung der Zeit in der modernen Politökonomie) hingewiesen, sondern auch sofort inhaltlich darauf reagiert: Alles wird zum Arbeitsfeld, alles zum Projekt: der schnelle Wechsel zwischen den Themen/Methoden/Modi/Indizes/Referenzen/Beziehungen verweist zurück auf den Titel bzw. auf eine Paraphrase desselben: Wie kann ein Mensch (hier: ICH), der in einer Gesellschaft, die aus Episoden und Fragmenten besteht, seine Identität zu einer stimmigen Erzählung bündeln? What keeps me alive? Die Intervention als Chance in der als bruchstückhaft angelegten Gegenwart ist nicht nur als künstlerische Praxis in Kunyiks Arbeiten mega relevant, sondern auch einer ihrer signature moves: Auf allen Ebenen wird reingegrätscht und damit contentverschoben und generiert – das Veto, der Einspruch, der Protest, der selbstgewählte DRIFT kann auf jedem Level passieren. Überall ist die Strategie des shifts zu erkennen, die Mutation des Themas Interventionals Chance: Einspruch, Protest, Veto, das Eigene noch reinbringen, hardcore subjektiv im intelligentesten Sinne.

Oft sind die Interventionen via Referenzen installiert bzw. deckungsgleich mit selbigen. Auch der Ausstellungstitel folgt diesem Rhythmus: eine Paraphrase eines Songs der Dreigroschenoper (Denn Wovon Lebt der Mensch / What Keeps Mankind Alive), auch Brecht intervenierte/aktualisierte und erweiterte die englische Originalfassung der Beggarʼs Opera von John Gay. Hier findet man Stoffelemente von Kippling und Villion. Auch den Existenzkampf, den Bürger als Räuber und den Räuber als Bürger, das Doppelleben der Beamten. Indem sie ihr Netz von Referenzen mit dem der subjektiv-markierten Intervention zusammenschließt, gelingt es Hannahlisa Kunyik immer wieder, eine Form von Kunst herzustellen, die große theoretische/philosophische Qualität ausstrahlt. Die Künstlerin kann mit großer Leichtigkeit das INSTA INSTA INSTA INSTA-Thema mit dem Prekariat-Thema und dem Feminismus-Thema kurzschließen (ihrem Kernthema, der Politizität des Gefühls) und man kapiert den Humor UND die Ernsthaftigkeit in a split second.

Neben der kraftdurchdrungenen Veranschaulichung vom „der-fragmentierten-Welt-etwas-entgegensetzen“ und dem „sich verorten-müssen/wollen/sollen“, berührt die Ausstellung letztlich auch noch durch eine große solidarische Geste gegenüber denjenigen, welche sich am Intervenieren wund- und totgelaufen haben: In einer fotographischen Arbeit (Liebe Anita,) ruft die Künstlerin ein Selbstportrait der 1933 durch Selbstmord zu Tode gekommenen Künstlerin Anita Rée auf, ein Verweis auf die Anerkennung des Gewichts objektiver Realität. Hier öffnet sich das ICH mutig zum Referenzraum der Geschichten der anderen.”